Die existentiellen Gefahren
Existentielle Gefahren für die Menschheit als Gegenstand für die Zukunftsforschung
Zusammenfassungen
Untersuchungen zu existentiellen Gefahren für die Menschheit sind bislang eine Seltenheit. Mit der vorliegenden Publikation wird der Versuch unternommen, grundlegende Konturen dieses Forschungsfelds zu umreißen. Zu diesem Zweck werden methodische Probleme der Auseinandersetzung mit existenzielle Gefahren diskutiert und die Perspektiven von Nachbardisziplinen erschlossen. Eine vorläufige Bestandsaufnahme umfasst 20 existenzielle Gefahren, darunter plötzlich eintretende Katastrophen und solche, die sich über Niedergangsspiralen realisieren, zudem eher spekulative und solche mit einer breiten empirischen Basis. Mit den Kriterien von Vermeidbarkeit, Schadensausmaß, Wahrscheinlichkeit und Ungewissheit wird ein Kriterienraster für die Bewertung der existenziellen Gefahren vorgeschlagen. Die Kriterien Vermeidbarkeit und Ungewissheit werden als zentral herausgearbeitet und in einer Umfrage mit einem ausgewählten Expertenkreis getestet. Als Ergebnis lassen sich fünf Typen von existenziellen Gefahren unterscheiden: Sie reichen von anthropogenen Gefahren mit großer bis mittlerer Vermeidbarkeit bei mittlerer bis hoher Ungewissheit, über ökologische existenzielle Gefahren und Geo-Gefahren bis zu zwei Typen von kosmischen Gefahren mit sehr geringer Vermeidbarkeit und – bei Typ II – hochgradig spekulativem Charakter. Da als normatives Gebot jegliche existentielle Gefahr für die Menschheit auszuschließen ist, verbietet sich eine rein probabilistische Herangehensweise. Eine Bewertung nach Dringlichkeit der existenzielle Gefahren ist notwendig, aber nicht ausreichend. Zu sämtlichen existenzielle Gefahren besteht erheblicher Forschungsbedarf und ebenso politischer Handlungsbedarf.
1. Konzeptioneller Rahmen
1.1. Risiko und Gefahr
1.2. Methodische Herausforderungen
1.3. Perspektiven auf existentielle Gefahren
Die Untersuchung existentieller Gefahren für die Menschheit bedarf einer multi- und transdisziplinären Herangehensweise, denn extreme und im Einzelfall sogar existentielle Gefahren werden aus vielen disziplinären Perspektiven und aus dem Zusammenhang unterschiedlicher gesellschaftlicher Diskurse heraus thematisiert. [4] Diese Perspektiven liefern jeweils einen Ertrag an Ideen, die in eine umfassende Darstellung existentieller Gefahren einfließen können.
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Perspektive der Großschadensereignisse:
Die Risikoforschung befasst sich unter anderem – insbesondere mit dem Konzept des GAU (Größten Anzunehmenden Unfalls) – mit extrem großen, singulären, unbedingt zu vermeidenden Risiken. Das Ausmaß der Schäden kann dabei so groß sein, dass konventionelle Ansätze des Risikomanagements und des Katastrophenschutzes und ohnehin alle Versicherungsmodelle versagen und letztlich die Gesellschaft insgesamt die Folgen zu bewältigen und die Schäden zu tragen hat. Im Sinne des Vorsorgeprinzips ist es geboten, die Wahrscheinlichkeit des Schadensereignisses auf null zu reduzieren. Es handelt sich um „verbotene Risiken“ (siehe WBGU 1999: 8ff).
Hervorzuhebender Gehalt: Einige Risiken übersteigen die Fähigkeiten eines Risikomanagements. Bei ihnen ist die gesamte Gesellschaft betroffen; Vermeidung besitzt absoluten Vorrang. -
Perspektive der systemischen Risiken:
Die Soziologie hat in den letzten Jahrzehnten den systemischen Charakter von Risiken in den modernen Gesellschaften herausgearbeitet; sie entstehen in einem Gesamtzusammenhang und sie wirken in einem Gesamtzusammenhang: Ist ein Teilsystem betroffen, zieht dies Folgen in anderen nach sich und potenziert die Wirkungen. Systemischen Risiken (Renn et al. 2007) sind durch einen hohen Grad an Vernetzung und Komplexität gekennzeichnet. Unsicherheiten hinsichtlich dessen, wie sich die Wirkungen entfalten, schließen Prognosen aus, die Vielfalt von Deutungsmöglichkeiten (Ambiguität), einschließlich der Schuld- bzw. Verantwortungszuschreibungen, zieht Konflikte nach sich, die mit ihnen verbundenen Prozesse besitzen häufig einen hochdynamischen und flüchtigen Charakter (in Analogie zum Börsengeschehen als Volatilität bezeichnet). [5] Die Ausbreitungsmechanismen („global spread mechanisms“ in der Terminologie von Avin et al. 2018) produzieren immer aufs Neue Kontingenz.
Hervorzuhebender Gehalt: Existentielle Gefahren entfalten ihre Wirkungen in systemischen Zusammenhängen. Das auslösende Ereignis (oder der auslösende Trend) setzt komplexe und nicht mehr nachvollziehbare Ausbreitungsmechanismen in Gang. -
Perspektive der Umweltbewegung:
Seit Jahrzehnten warnen Umweltforscher und mehr noch Umweltbewegte vor der „Ökokatastrophe“, einem möglichen Kollaps der irdischen Biosphäre. Die Szenarien betreffen insbesondere die übermäßige Belastung der natürlichen Medien durch Schadstoffe (beispielsweise bis hin zum Umkippen der Weltmeere in einen anoxischen Zustand) und einen Verlust der Biodiversität, der in einen Zusammenbruch von Ökosystemen und letztlich einer irreversiblen Schädigung der gesamten irdischen Biosphäre münden kann. Zweck der bisweilen apokalyptisch vorgetragenen Warnprognosen ist die politische Willensbildung und die Mobilisierung gesellschaftlicher Abwehrkräfte, so dass die Katastrophe vermieden wird (also die sich selbst negierende, zerstörende Prophezeiung). Einen Kernpunkt der Argumentation bildet dabei oft die Notwendigkeit eines grundlegenden sozioökonomischen System- bzw. Paradigmenwechsels, ohne den der Weg in die Katastrophe nicht verlassen werden kann.
Hervorzuhebender Gehalt: Warnprognosen dienen der Mobilisierung; existentielle Gefahren können einen sozioökonomischen Systemwechsel erzwingen. -
Perspektive der Erdsystemforschung:
Die Klimafolgenforschung hat in den letzten Jahren die Vulnerabilität des Erdsystems herausgearbeitet. Überschreitet die globale Erwärmung bestimmte Schwellwerte, kann es zu nichtlinearen, sprunghaften Wirkungen kommen. Mehr als ein Dutzend sog. Kippelemente (tipping elements) sind identifiziert worden (Lenton et al. 2008). Taut beispielsweise der sibirische Permafrostboden, führt das freigesetzte Methan zu einer Beschleunigung der Erwärmung (runaway climate change). Dies wiederum zieht Folgewirkungen wie beschleunigte Gletscherschmelze oder Verlagerung von Windsystemen nach sich. Weitere „planetare Leitplanken“ (Belastungsgrenzen) betreffen die Versauerung der Ozeane, biogeochemische Kreisläufe (Phosphat- und Stickstoffkreislauf) oder die atmosphärische Aerosolbelastung (Steffen et al. 2015).
Hervorzuhebender Gehalt: Verletzliche Elemente spielen in den komplexen Wirkungsketten, die von Gefahren ausgehen, eine besondere Rolle. Auch wegen der Kippelemente und Kaskadeneffekte sind Wirkungen schwer vorherzusagen. -
Perspektive der Erdgeschichte:
Seit der Entstehung des Lebens auf der Erde vor etwa vier Milliarden Jahren hat die irdische Biosphäre mehrere große Krisen mit dem massenhaften Aussterben von Arten durchlebt (Elewa 2008). Neben kosmischen und geologischen Ursachen (wie dem Asteroiden-Einschlag am Ende der Kreidezeit vor 66 Millionen Jahren oder starkem Vulkanismus) werden auch Rückkopplungsmechanismen innerhalb der Biosphäre diskutiert (Medea-Hypothese, siehe Ward 2009). Das Anthropozän kulminiert derzeit in einem weiteren Extinktions-Ereignis.
Hervorzuhebender Gehalt: Die Natur befindet sich nicht in einem dauerhaften Gleichgewicht, extreme globale Umbrüche sind ein Bestandteil der Evolution. -
Perspektive der (Geschichts-) Philosophie:
Nach dem Ende der geschichtsphilosophischen Erzählungen [6] wird nur noch vereinzelt über das Ende des Fortschritts oder das Ende der Geschichte spekuliert (Fukuyama 1992). Die Endlichkeit der Menschheit ist kein Thema für Diskurse innerhalb der Geschichtsphilosophie mehr, wohl aber für philosophische Betrachtungen, insbesondere im angelsächsischen Raum (Leslie 1996, Bostrom 2018).
Hervorzuhebender Gehalt: Die Frage nach den existentiellen Gefahren ist in grundsätzliche weltanschauliche Fragestellungen zum geschichtlichen bzw. zivilisatorischen Fortschritt, zum Telos der Geschichte eingebunden. -
Perspektive der untergegangenen Zivilisationen:
Die Weltgeschichte kennt zahllose Beispiele von Gesellschaften bzw. Kulturen, die aus unterschiedlichen Ursachen (Ressourcenerschöpfung, klimatische Veränderungen, Epidemien, Kriege, …) zusammenbrachen und verschwanden (Diamond 2006). Häufig gerieten diese Gesellschaften in Niedergangsspiralen, in denen ein Problem weitere Probleme, eine Krise weitere Krisen hervorrief, bis der Zusammenhalt der Gesellschaft und mit ihm die kulturelle und die ökonomische Basis verloren ging.
Hervorzuhebender Gehalt: Der Niedergang besteht in der Regel in sich gegenseitig verschärfende Problemlagen und Krisen (Kaskaden). -
Perspektive der Astronomie:
Die Astronomie hat umfangreiche und empirisch gut bestätigte Theorien zum Lebensweg von Sternen und Planeten erarbeitet. Die modernen Beobachtungsmethoden (insbes. der Radioastronomie und neuerdings der Gravitationswellenastronomie) zeigen das Universum als einen Raum extrem dynamischer Prozesse, die unterschiedliche Arten kosmischer „Katastrophen“ [7] produzieren (Plait 2010). Auch bevor unsere Sonne in etwa einer Milliarde Jahre zu heiß für organisches Leben auf der Erde wird, ist unser Planet verschiedenen kosmischen Gefahren ausgesetzt, wenn auch mit extrem geringer Wahrscheinlichkeit.
Hervorzuhebender Gehalt: Auch von natürlichen Vorgängen, die der Mensch nicht beeinflussen kann, können existentielle Gefahren ausgehen. -
Perspektive der Forschung nach extraterrestrischen Zivilisationen:
Bislang wurden keine außerirdischen Intelligenzen bzw. Zivilisationen nachgewiesen. Diese Beobachtung steht im Widerspruch zu der populären Annahme, dass intelligentes Leben im Universum nicht extrem selten ist und häufig ein höheres technologisches Niveau als die Menschheit erreicht („Fermi-Paradox“, siehe Webb 2002). Eine mögliche Erklärung besteht darin, dass die Lebensdauer von Zivilisationen nach kosmischen Maßstäben sehr kurz ist, planetarische Zivilisationen durch Selbstauslöschung oder die Wirkung „großer Filter“, katastrophaler kosmischer Ereignisse, ihr Ende finden (Hanson 1998, Ward 2009).
Hervorzuhebender Gehalt: Die Frage nach den existentiellen Gefahren für die Menschheit ist mit der Frage verbunden, welche Stellung die Menschheit im kosmischen Rahmen einnimmt. -
Perspektive der Kulturwissenschaften
In den Kulturwissenschaften wird aus verschiedenen – insbesondere poststrukturalistischen – Richtungen darauf hingewiesen, dass wissenschaftlichen Konzeptionen oftmals vorwissenschaftliche Narrative und Metaphern zugrunde liegen, die nicht oder nur in einer rationalisierenden Weise von der Wissenschaft reflektiert werden. Dies trifft in besonderem Maße auf Modelle und Hypothesen über existentielle Gefahren zu. [8] So weist Dürbeck (2018) am Beispiel des „Metanarrativs“ Anthropozän verschiedene Narrative nach: Katastrophennarrativ, Gerichtsnarrativ, Narrativ der „Großen Transformation“ (mit „Errettung“).
Hervorzuhebender Gehalt: Darstellung und Analyse existentieller Gefahren sind mit einigen wenigen grundsätzlichen narrativen Mustern imprägniert, die auch hinsichtlich der Handlungsoptionen den Raum der Vorstellungen bestimmen (leiten bzw. einengen).
2. Bestandsaufnahme
2.1. Anthropogene Gefahren
3.1.1 Ereignisse, die die Menschheit kurzfristig auslöschen können
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Nuklearer Holocaust: Eine militärische Auseinandersetzung zwischen Großmächten kulminiert in einem Schlagabtausch mit Nuklearwaffen, der nicht allein große Landstriche zerstört und verstrahlt, sondern darüber hinaus einen „nuklearen Winter“ als Folge hat: Staub und Asche in der Atmosphäre verdunkeln über Jahre die Sonne, rapides Absinken der globalen Temperaturen.
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Künstliche Pandemie: Entweder durch den militärischen oder terroristischen Einsatz von Biowaffen oder durch missglückte Experimente mit Bio-Engineering gelangen Erreger in Umlauf, die eine Mortalität von nahezu 100% mit einer sehr hohen Infektionsrate verbinden.
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Nanotechnologie außer Kontrolle: Sich selbst replizierende nanotechnologische Einheiten (Nanoroboter) entkommen aus Laboren oder Industrieanlagen oder werden gezielt freigesetzt. Sie assimilieren bzw. zersetzen organische Materie oder auch technische Systeme und bedecken am Ende weite Landstriche („Grey Goo“-Szenario).
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Hochenergie-Experimente: Physikalische Großanlagen wie etwa der Large Hadron Collider (CERN) ermöglichen Experimente in extremen Energiebereichen, um Theorien zu den Grundstrukturen der Materie zu überprüfen – durchaus auch mit der Aussicht, neuartige physikalische Effekte zu entdecken. Falls der Vakuum-Nullzustand metastabil ist, d. h. ein weiterer Nullzustand mit noch niedrigerer Energie existiert, könnte durch derartige Experimente ein Übergang in den tieferen Zustand ausgelöst werden, der das gesamte Universum erfasst und alle uns bekannten Strukturen vernichtet.
3.1.2 Ereignisse, die eine Niedergangsspirale auslösen können
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Ökologischer Kollaps: Es gibt zahllose, oft nicht im Detail ausgeführte Szenarien eines Zusammenbruchs der irdischen Biosphäre. Meist wird dieser durch die globale Erwärmung und/oder die Vergiftung der natürlichen Medien hervorgerufen. Komponenten sind die Desertifikation, die Entwaldung (sowohl bei tropischen Urwäldern als auch in borealen Regionen) oder das Umkippen der Meere, bisweilen auch ein missglücktes Geoengineering. All diese Szenarien beschreiben einen gravierenden Verlust an Biodiversität – im Grunde eine Übersteigerung aktuell ablaufender Prozesse. In der Folge bricht die Lebensmittelproduktion ein, Verteilungskämpfe brechen aus und die Entwicklung mündet in einen Kollaps der Gesellschaften.
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Feindliche Superintelligenz: Intelligente Maschinen übernehmen das Kommando. In diesem Szenario bringt die Forschung zu künstlicher Intelligenz eine genuine allgemeine künstliche Intelligenz hervor, die der des Menschen in jeder Beziehung überlegen ist (Superintelligenz). Diese „Maschinen-Intelligenz“ emanzipiert sich von der Menschheit und verfolgt ihre eigenen Ziele. Die Zukunft des Homo sapiens hängt davon ab, ob diese Intelligenz ihren ehemaligen Schöpfern wohlwollend gegenübersteht – oder nicht. [10] Je nach Szenario kann diese „genetische Wachablösung“ (Joy 2000) auch sehr rasch erfolgen.
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Verlust der menschlichen Fortpflanzungsfähigkeit: Seit Jahrzehnten lässt sich bei Männern in den westlichen Industriestaaten eine Verschlechterung der Samenqualität feststellen. Als mögliche Ursache werden u. a. hormonähnlichen Substanzen in der Umwelt und in Nahrungsmitteln – gegebenenfalls in Kombination mit anderen Faktoren – diskutiert. Eine Verschärfung der Situation könnte zu einem dramatischen Bevölkerungsrückgang führen und einen sozialen Kollaps nach sich ziehen.
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Posthumane Wesen: Die Evolution des Homo sapiens ist ein nie abgeschlossener Prozess. Hypothetisch vorstellbar ist dabei auch ein evolutionärer Verlust von spezifisch menschlichen Eigenschaften wie breit ausgefächertes Gefühlsleben, Empathie, Solidarität, also ein Ende des Menschen, „wie wir ihn kennen“. Zwar würden die Nachfolger die Entwicklungslinie des Homo sapiens fortsetzen; sie würden jedoch nicht mehr unseren moralischen, kulturellen und sozialen Maßstäben für Menschlichkeit entsprechen – etwa bei sich permanent etablierenden totalitären Dystopien im Sinne von Caplan (2008).
3.2.1 Irdische Ereignisse
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Ausbruch eines Supervulkans: Die Erdgeschichte kennt zahlreiche Eruptionen von Supervulkanen (definiert durch Auswurfmengen von über 1.000 km³), die auch als mögliche Ursache von Massenaussterben diskutiert werden. Die Magmakammer unter dem Yellowstone National Park gilt als groß genug, um einen Supervulkan-Ausbruch zu erzeugen. Eine derartige Eruption würde nicht allein Landstriche von kontinentalen Dimensionen zerstören, sondern einen sog. „vulkanischen Winter“ hervorrufen – mit dramatischen Folgen für die gesamte Biosphäre und die globale Lebensmittelproduktion.
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Extreme Pandemie: Die Menschheit wurde mehrfach von großen Epidemien mit Millionen von Toten heimgesucht – etwa im 14. Jahrhundert von der Pest oder in den Jahren von 1918 bis 1920 von der Spanischen Grippe. Auch in jüngster Zeit sind immer wieder neue Krankheitserreger aus der Tierwelt auf den Menschen übergesprungen (Zoonosen wie Ebola, SARS oder SARS-Cov2). Bei hohen Mortalitäten und hohen Infektionsraten könnte nicht allein das Gesundheitswesen, sondern die Wirtschaft zusammenbrechen und letztlich ein Szenario des sozialen Kollapses resultieren.
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Verlust des Erdmagnetfelds: Das irdische Magnetfeld schützt die Menschheit vor elektrisch geladenen Teilchen, die ihren Ursprung in Sonneneruptionen und koronalen Massenauswürfen haben. Ohne diesen Schutz wäre die gesamte Kommunikations- und Strominfrastruktur gefährdet (s. u.: extremer geomagnetischer Sturm), ebenso ist mit gravierenden Folgen für die Gesundheit zu rechnen.
3.2.2 Kosmische Ereignisse
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Impakte: Der Einschlag eines Asteroiden oder Kometen von mehr als 10 km Durchmesser würde eine globale Katastrophe auslösen, beginnend mit der Vernichtung von Landstrichen kontinentaler Dimension und Super-Tsunamis. Millionen Tonnen Material würden in die Atmosphäre geschleudert und die Erde wie am Ende der Kreidezeit auf Jahre hinaus in Nacht und Kälte stürzen. Selbst Impakte von kleineren Dimensionen hätten dramatische Folgen.
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Extremer geomagnetischer Sturm: Bisweilen ereignen sich auf der Sonne besonders starke koronale Massenauswürfe, die das Erdmagnetfeld abschwächen und die technischen Infrastrukturen beeinträchtigen oder schädigen – und im Extremfall Kommunikationsinfrastrukturen (Satelliten und auf der Erde) zerstören und auch die Stromversorgung unterbrechen (globaler Blackout).
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Veränderte Sonnenaktivität: Die Strahlungsaktivität der Sonne schwankt geringfügig. So ist die „kleine Eiszeit“ im 16. und 17. Jahrhundert auf einen Rückgang der Bestrahlungsstärke („Solarkonstante“) zurückzuführen. Eine Reduktion der Sonnenstrahlung um wenige Prozent würde genügen, um den Globus mit einer Eisdecke zu überziehen. Nach dem aktuellen Diskussionsstand würde eine in einem realistischen Maße verminderte Sonnenaktivität die globale Erwärmung lediglich etwas verzögern. [11]
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Nahe Supernova: Ein Stern, der sich in der Nähe des Sonnensystems in eine Supernova verwandelt, würde die Erde mit Gamma- und Röntgenstrahlung überschwemmen. Bei Distanzen unter 100 Lichtjahre könnten die Wirkungen auf die irdische Biosphäre verheerend sein, die Ozonschicht würde zerstört, Lebewesen könnten allein durch die Gamma- und Röntgenstrahlung getötet werden. Auch würde die Infrastruktur ähnlich wie bei einem extremen geomagnetischen Sturm in Mitleidenschaft gezogen.
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Gammablitz: Radioastronomen beobachten immer wieder plötzliche Piks der Gammastrahlung in praktisch punktförmigen, sehr weit entfernten Himmelsregionen. Innerhalb von Sekunden wird mehr Energie freigesetzt, als die Sonne in Milliarden Jahren ausstrahlt. Nach einer verbreiteten Theorie kollidieren und verschmelzen dabei Neutronensterne. Träfe ein Gammablitz aus einigen Hundert Lichtjahren Entfernung die Erde, würde die Strahlung die Ozonschicht zerstören und ein Massenaussterben auslösen. [12]
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Vagabundierendes Schwarzes Loch: Schwarze Löcher (Black Holes) sind kosmische Objekte, deren Masse auf ein sehr kleines, in der Theorie punktförmiges Volumen konzentriert ist. In ihrer unmittelbaren Umgebung verfügen sie über ein so starkes Gravitationsfeld, dass nicht einmal Photonen ihnen entweichen können. Sie können insbesondere durch den Kollaps von Sternen entstehen. Es wird spekuliert, dass einzelne Schwarze Löcher unerkannt durch die kosmischen Weiten ziehen. Träfe ein solches Schwarzes Loch die Erde, würde es den gesamten Planeten einsaugen.
3.2.3 Von außerirdischen Lebensformen oder Intelligenzwesen hervorgerufene Ereignisse
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Biogefahr aus dem Kosmos: Außerirdische Organismen können eine Bedrohung für das Leben auf der Erde darstellen. Daher haben Raumfahrtagenturen für die Rückkehr von Raumflugkörpern und von Astronauten Prozeduren installiert, die vor einer Kontamination mit kosmischen Keimen schützen sollen. Eine derartige Kontamination könnte eine Pandemie auslösen oder im extremen Fall die gesamte irdische Biosphäre gefährden.
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Kontakt mit extraterrestrischen Intelligenzen: Die Gefahren eines asymmetrischen Kulturkontakts mit außerirdischen Intelligenzwesen sind vorerst (?) bloße Spekulation, werden aber durchaus wissenschaftlich diskutiert (Schetsche/Anton 2019). Wie aus der Entdeckungs- und Kolonialgeschichte bekannt ist, kann allein schon ein gewaltfreier Austausch mit einer technologisch weit überlegenen Zivilisation katastrophale Folgen haben.
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Ende der Simulation: Einige KI-Spezialisten halten es wie Nick Bostrom (2018) für möglich, wenn nicht sogar für wahrscheinlich, dass unser Universum lediglich als Simulation existiert. In diesem hoch spekulativen Fall wäre es nicht ausgeschlossen, dass die Schöpfer der Simulation diese beenden, weil sie das Interesse an ihrem Experiment verlieren oder aus einem anderen für uns unbegreiflichen Grund. [13]
5. Fazit
Die Liste der existentiellen Gefahren für die Menschheit ist lang und umfasst ein breites Spektrum von möglichen Katastrophen mit den unterschiedlichsten, teils anthropogenen, teils nicht anthropogenen Ursachen und mit einer ebenso großen Vielfalt von potenziellen Verläufen bis zum fatalen Ende. All diese Gefahren, selbst die hochgradig spekulativen, bedürfen der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit, der wissenschaftlichen Befassung und der politischen Berücksichtigung. Dafür kann diese Studie allenfalls einige Anregungen geben.
Allerdings lassen sich aus dem hier vorgenommenen Überblick und der groben Einordnung einige Schlussfolgerungen ziehen:
1. Existentielle Gefahren sind soziale Konstruktionen.
Aus sozio-kultureller Perspektive gilt: Was wir als Gesellschaft als Gefahr betrachten, ist ein Konstrukt, ein Produkt von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen, von Weltbildern und Interessen, die sich psychologisch in Befürchtungen und Hoffnungen, in Akten der Verdrängung oder Tabuisierung und der hysterischen Überhöhung ausdrücken. Sie sind sozial konstruiert. Dies gilt umso mehr für existentielle Gefahren, denn sie berühren Existentielles auch auf individueller Ebene. Daher sind sie in hohem Maße emotionsbesetzt und mit Imaginationen aufgeladen. Eine wissenschaftliche Probe auf den Realitätsgehalt der Gefahren findet unter dieser gesellschaftlichen und individuellen Rahmensetzung statt. Je nach dem Maß der sozio-kulturellen Aufladung sind bestimmte existentielle Gefahren – wie am Beispiel des Klimawandels deutlich wird – Gegenstand des gesellschaftlichen Meinungsstreits, andere jedoch fallen aus dem Diskurs weitgehend heraus. Der sozialen Konstruktion folgt in der öffentlichen Aushandlung noch eine andere Herausforderung: So ist denkbar, dass Themen oder Entwicklungen zu existentiellen Gefahren erhoben werden, obwohl nachweislich andere Erkenntnisse vorliegen, z. B. wenn im Zuge von Debatten zu Migrationsbewegungen die Auslöschung ganzer Völker oder ein Ende der Zivilisation heraufbeschwören werden. Eine „neutrale, objektive Gleichbehandlung“ bleibt theoretisch wie praktisch unerfüllbares Desiderat.
2. Ungewissheit ist die zentrale Kategorie.
Gefahr heißt Kontingenz; existentielle Gefahren als potenzielle finale Katastrophen bedeuten auch die größtmögliche, weil die gesamte Menschheit umfassende Kontingenz. Kontingenz konkretisiert sich in Ungewissheiten, die je nach Typ der existentiellen Gefahr unterschiedlich ausfallen können.
Bei existentiellen Gefahren vom Typ Geo-Gefahren stehen empirische Ungewissheiten im Vordergrund: ob Fakten und Faktoren, Wahrscheinlichkeiten und Zeiträume korrekt bestimmt sind bzw. sich überhaupt einigermaßen valide bestimmen lassen. – Derartige Fragen sind das Tagesgeschäft der Wissenschaft. Bei existentiellen Gefahren vom Typ Ökologische Gefahren potenziert sich die Problematik durch die Ungewissheiten über die systemischen Wirkungen, insbesondere über ökologische und gesellschaftliche Wirkungskaskaden. Alle existierenden Theorien und Modelle, Hypothesen und Annahmen erfahren ihre Probe erst im Falle des Eintretens der Gefahr, wenn die Prozesse im Fluss sind.
Anhand anthropogener Gefahren, die als schleichende Katastrophen bereits heute dabei sind, sich zu realisieren, wird deutlich, dass Ungewissheit eine normative bzw. ethische Komponente enthält. Akteure handeln auf Basis ihrer Interessen und ihrer Werte, die die Wahrnehmung der Gefahren und damit auch die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse prägen – aber ihrerseits von den Diskursen beeinflusst werden. Im Rückgriff auf die Konstruiertheit von Gefahren bedeutet das auch, dass Maßnahmen ergriffen und als relevant konstruiert werden, die nur vermeintlich Wirkung entfalten können. Dies wird am Beispiel des Sicherheitsparadoxes deutlich: Der Versuch der Absicherung gegen mit Ungewissheit behafteter Gefahren führt zu einer Spirale, die neue, nicht intendierte Gefahren hervorbringen kann.
3. Als normatives Gebot gilt: Jede existentielle Gefahr für die Menschheit ist auszuschließen.
Bei sämtlichen existentiellen Gefahren handelt es sich um „verbotene Risiken“. Eine Priorisierung ist daher nicht angebracht, und schon gar nicht eine Priorisierung ausschließlich nach Wahrscheinlichkeiten oder nach Wahrscheinlichkeit samt Schadensausmaß. Insofern ist die im Versicherungswesen bevorzugte probabilistische Herangehensweise unangemessen. Gleichzeitig können nicht alle „denkbaren“ existentiellen Gefahren berücksichtigt werden, gegen alle Vorkehrungen zu treffen, ist schlicht unmöglich.
4. Eine Bewertung nach Dringlichkeit ist notwendig, aber nicht ausreichend.
Um Handlungsfähigkeit zu erzeugen, muss Kontingenz in handhabbare Komplexität überführt werden. Dazu ist es notwendig, Ungewissheiten offenzulegen und einzuordnen, und existentielle Gefahren nach der Dringlichkeit ihrer Bearbeitung einzuordnen. Aber auch hier gilt: Dringlichkeit allein kann nicht der Maßstab sein, denn die Wahrnehmung akuter, also kurzfristiger Handlungsnotwendigkeiten verdeckt oft den Blick auf langfristig sinnvolle Strategien zur Bewältigung von Kontingenz. Ein umfassender Ansatz ist gefordert.
In der Gesamtbetrachtung zeigt sich, dass in der Diskussion um existentielle Gefahren zwei Merkmale gelten: Wie beschrieben, handelt es sich um „verbotene Risiken“, da jede existentielle Gefährdung der Menschheit ausgeschlossen werden muss. Zugleich handelt es sich aber um „wicked problems“ – Unlösbarkeitsprobleme. [29] Ein völliger Ausschluss der Gefährdung ist aufgrund der in diesem Beitrag beschriebenen Charakteristika unmöglich. Und dennoch ist politisches und gesellschaftliches Handeln notwendig, um darüber zu entscheiden, wie mit den beschriebenen Gefahren unter den genannten Bedingungen umgegangen werden kann.
Die in der internationalen Community diskutierten existentiellen Gefahren werden von deutschen Experten sehr unterschiedlich bewertet. Sie zählen zu unterschiedlichen Typen hinsichtlich ihrer Vermeidbarkeit und hinsichtlich des Grades des Unwissens. Nur einige wenige der existentiellen Gefahren werden bislang öffentlich debattiert und politisch wahrgenommen.
Unsere Studie deutet an, dass expertenbasierte Gefährdungseinschätzungen und öffentliche Wahrnehmung oft weit auseinanderklaffen. Auch bietet das Ergebnis der Umfrage nur eine Momentaufnahme der Problemwahrnehmung. Die Mehrheit der – nicht rein spekulativen – existentiellen Gefahren ist zumindest in Expertenkreisen bekannt, doch schlägt sich der Handlungsdruck nicht in der öffentlichen Wahrnehmung und politischen Bearbeitung der Gefahr nieder (gravierendes Beispiel: Gefahr eines nuklearen Holocausts).
Insbesondere dort, wo eine erhebliche Ungewissheit besteht bzw. die Bewertungen der Experten weit differieren, besteht Forschungsbedarf – um die mehr oder weniger abstrakt gefasste Gefahr in ein konkret zu bearbeitendes Risiko zu transformieren. Ein erster Schritt dazu könnte ein Workshop mit ausgewählten Experten sein.
Es ist unsere Überzeugung, dass Analysen zu existentiellen Gefahren für die Menschheit auch wertvolle Impulse für den Umgang mit weniger gravierenden Gefahren liefern können, indem sie Relationen herstellen und zu einer sachlicheren Debatte in der Auseinandersetzung mit Risiken und Gefahren beitragen.
Das Feld ist damit aufgemacht, grundlegende Konzepte sind erläutert, ein Überblick verdeutlicht das weite Spektrum der existentiellen Gefahren für die Menschheit. In ihrer Gesamtheit stellen sie eine doppelte Herausforderung dar: in methodischer Hinsicht für die Forschung und in praktischer Hinsicht für die Politik.
https://www.zeitschrift-zukunftsforschung.de/zukunftsforschung/article/view/94/156