Die Phasen einer Krise
Verena Kast (1989) zieht eine enge Verbindung zwischen dem schöpferischen Prozess und dem Verlauf einer Krise, da es beim schöpferischen Prozess, genau wie in einer Krisensituation, darum geht, eine Blockierung aus Angst dadurch auf zu lösen, dass man von dem Alten Abstand bekommt, es loslässt, um neue Wege und Möglichkeiten finden zu können, was dann meist zu einer Erweiterung des Bewusstseins führt.
Genau wie der schöpferische Prozess kann auch die Krise in vier Phasen gegliedert werden, welche sich bei verschiedenen Formen der Krise nur wenig unterscheiden. Diese Phasen gehen ineinander über und sind wegen ihrer Überlappung oft nicht klar von einander abzugrenzen. Es kommt auch vor, dass sich Phasen wiederholen, so als ob man die gleiche Phase auf einem höheren Niveau ein zweites Mal durchlebt.
Im Folgenden werde ich die Phasen einer Krise am Beispiel der Trauerkrise (Kast, 1989, S. 101f) darstellen:
1. Phase des „Nicht-wahrhaben-Wollens“
– Empfindungslosigkeit, Schmerz wird abgespalten
– Gefühl der Leere, wie versteinert
– Eindruck, man träume und der Verlust sei nicht real, Schockreaktion
– Leugnen des Problems, der Krankheit
Oft wird diese Phase im nach hinein kaum erinnert, Ihre Dauer variiert zwischen Stunden, Tage oder Wochen.
2. Phase der aufbrechenden, chaotischen Emotionen
– Schmerz, Wut, Zorn, Freude, Angst vor Leben und Tod
– Angst vor dem Verlassensein oder nicht mehr geliebt zu werden
– Schuldgefühle
– Suche nach Schuldigem mit der Frage: Warum ich?
– Gefühl, sich zusammen nehmen zu müssen
– Anfälligkeit für Infektionskrankheiten steigt
– Meistens von Träumen begleitet, auch Schlafstörungen
– Diese Phase ist schwer zu ertragen, weil die Gefühle, die man nicht gewohnt ist und zuvor abgespalten hatte, nun wie eine Welle über einem zusammen stürzen.
– Gefühle wie Unruhe, Zweifel an Selbstwert und Kompetenz und Frustration
Es ist wichtig, das Chaos dieser Emotionen auszuhalten und nicht zu verdrängen, um die Krise zu bewältigen.
Am Ende der zweiten Phase ist die Krise an ihrem Höhepunkt. Im schöpferischen Prozess spricht man an dieser Stelle vom schöpferischen Sprung (Kast 1989, S.26)
3. Phase des Suchens, Findens, und Sich Trennens
– bei Trauerprozessen um Verstorbene wird die „Funktion“ des Verstorbenen definiert und versucht, diesen Verlust durch etwas anderes zu ersetzen
– Erinnerungen an bisheriges Leben werden reflektiert und Zufriedenheit stellt sich ein
– Einsichtsphase, in der man beginnt, den Sinn des Verlustes oder der Krankheit zu verstehen
– Akzeptieren des Geschehenen
– Übernehmen der Eigenverantwortung für das Leben
– Man beginnt Freude und Erleichterung zu empfinden
4. Phase des Neuen Selbst- und Weltbezuges
– Öffnung zur Umwelt
– Loslassen des Schmerzes
– Entstehen neuer Werte
– Neue Beziehungen werden erschlossen
– Verifikationsphase, in der Einsicht getestet wird
– Neue Verhaltens- und Erlebensweisen werden ausprobiert
– Wunsch nach Nähe, Enge und Abstand, Autorität gleichzeitig
Das Überwinden des Höhepunktes der Krise scheint der entscheidende Punkt zu sein, der viel Kraft erfordert. Doch auch nach diesem und dem Durchlaufen der dritten Phase werden in der vierten Phase Anforderungen an den Betroffenen gestellt, die nicht immer leicht zu erfüllen sind. Viele Menschen haben große Probleme damit, die neu gewonnen Erfahrungen und das Gelernte in die Praxis umzusetzen und den Mut aufzubringen, die dazu gehörigen Schritte auch zu leben, nachdem die emotionale Balance wieder hergestellt ist. Hier zeigt sich, dass eine Krise nur eine Chance für eine Entwicklung ist, die Wahrgenommen werden muss.
andere Autoren unterteilen Krisen in vier Phasen, so zum Beispiel Cullberg (1978). Er stellt die Krise als einen Prozess dar, der aus vier Phasen besteht, die Verena Kasts Phasen weitestgehend entsprechen:
1. Schockphase (Fernhalten der Wirklichkeit, Verleugnung der Realität)
2. Reaktionsphase (Stellen der schmerzlichen Tatsachen und Anwendung von Abwehrmechanismen wie Verleugnung, Ausbildung einer Sucht oder Krankheit, Verdrängung oder Regression)
3. Bearbeitungsphase (Ablösung von alten Bedürfnissen)
4. Neuorientierungsphase (Ersetzen des Verlustes durch neue Objekte oder Personen)